Unfreiwilliges Lernen in der Krise

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Wie ich nach zwei Monaten Alptraum etwas lernte, auf das ich anders nicht gekommen wäre

In diesem Artikel liefere keine Angaben zu Zeit oder Ort und nenne natürlich erst recht keine Namen.

Für zwei Monate unterrichte ich in einer anderen Stadt.

Ich freue mich, wenn ich reisen darf und gehe frohgemut in eine neue Klasse. Wir machen Grundlagen der Buchhaltung zusammen und die Programme Lexware und DATEV.

Vergebliche Liebesmüh

Als ich den Klassenraum betrete, spüre ich sofort eine Atmosphäre von extremer Anspannung, von Misstrauen und Aggression.

Meine Strategie bisher war immer, solche Stimmungen direkt anzusprechen. Einerseits als Realitätscheck, ob ich mir das nur einbilde, andererseits als erster Schritt zu möglichen Lösungen.

Ich werde nur angestarrt.

Die Spannung wird im Laufe des Tages stärker. Die Teilnehmerinnen – eine reine Damengruppe – greifen sich vor allem gegenseitig an. Über mich beschweren sie sich ausschließlich hinter meinem Rücken.

Der Höhepunkt ist, als die Teilnehmerinnen einstimmig zustimmen, eine kurze Extra-Pause einzulegen, und sich dann sofort bei der Schulleitung beschweren, dass ich eine Extra-Pause gemacht habe. In dem Stil geht es die ganze Zeit.

Die Lösungsversuche des Sysiphos

Die Managerin der Schule sieht meine bisherigen Bewertungen durch, aus anderen Städten, die über 5 Jahre hinweg vorwiegend ziemlich gut sind. Sie setzt sich mit dem Kurs zusammen, sammelt Kritik ein. Ich bespreche mit allen die Kritik, biete Lösungen an, die akzeptiert werden.

Zwei Tage später frage ich nach, ob die Lösungen OK sind. Die Gruppe sagt ja. Eine Woche später behauptet eine der Damen, ich hätte am Unterricht überhaupt nichts geändert. Sie schlägt vor, ich solle mich in Behandlung begeben, und wir könnten uns auch draußen mal unterhalten.

Auf der fachlichen Seite läuft es ganz gut, die Damen lernen solide und verstehen auch gut.

Meine bisherige Strategie ging davon aus, wenn Teilnehmer sich seltsam benehmen, dann brauchen sie etwas. Ich suche also die konstruktive Auseinandersetzung, zeige dem Kurs, dass er Einfluss auf das Unterrichtsgeschehen hat, engagiere mich für die Teilnehmer.

So sorge ich z.B. dafür, dass es in einer Zeit logistischer Schwierigkeiten einen freien Tag für die Klasse gibt, obwohl das meine eigenen Prozesskosten erhöht. Das löst einige ernsthafte Probleme der Teilnehmerinnen. Quittiert wird es mit einem leisen Grunzen.

Bisher hatte zumindest eine dieser Strategien mittelfristig gegriffen.

Dieses Mal nicht.

Alles, was ich tue, verpufft.

Die intelligenteste der Damen bietet all ihr Wissen und all ihre Stärke auf, um Konflikte zu klären, um die Gruppe zu harmonisieren, um konstruktiv zusammen zu arbeiten. Sie meckert nicht herum, sondern versucht, Probleme zu lösen. Dabei steckt sie einiges ein und weg.

Ich versuche, zu ergründen, was die Gruppe gegen sie hat. Es zeigt sich aber, dass drei von den Damen etwas gegen absolut jeden haben, was keine Begründung zu erfordern scheint. 

<h3>…denn sie wissen nicht, was sie tun</h3>

Ich habe einige Diskussionen mit Kollegen und mit der Managerin der Schule. Keiner weiß weiter.

Ich höre, sie haben den Dozenten vor mir genauso behandelt.

Die Auseinandersetzungen zwischen den Damen werden heftiger und nehmen teilweise bizarre Formen an. Und es scheint mir, drei von sechs haben tatsächlich nicht die geringste Einsicht, wie aggressiv und abwertend sie manchmal sind.

Andererseits werden ganz normale Aussagen als feindselig interpretiert.

Als die letzte Reihe, die fachlich am besten abschneidet, mich bittet, ihnen die Musterlösung zu einer Übung zu geben, fauchen zwei andere Damen die beiden an, sie würden immer Druck ausüben. Druck auf wen jetzt?

Ich habe inzwischen Schlafstörungen und bin ziemlich angespannt. Nach meiner Meinung bleibe ich professionell dabei. Aber erfreulich ist es nicht.

Ich will auch lernen

Mein Anspruch ist, aus Erfahrungen zu lernen, gerade aus unerfreulichen Erfahrungen.

Gerade in Krisen habe ich oft neue Erkenntnisse gewonnen und neue Ideen umgesetzt.

Während ich in diesem Kurs bin, fällt mir aber absolut nichts ein. Mein Pulver ist verschossen, ich weiß nicht weiter. Freundlichkeit wird unfreundlich beantwortet, Grenzen werden bestenfalls belächelt.

Meine Dozenten-Bewertung aus den anonymen Feedback-Bögen ist am Ende eine Zwei. Das ist OK. Ein weiteres Indiz, dass die Damen gar nicht aggressiv zu mir sein wollten.

Eskalation bis zum Abwinken

Nachdem ich die Gruppe verlassen habe, wird mir berichtet, wird es noch viel schlimmer. Dozentinnen und Schulmanagement mit Weinkrämpfen, zunehmend bizarre Auseinandersetzungen zwischen den Teilnehmerinnen.

Die Schulleitung ist kurz davor, den Kurs abzubrechen und auf das Geld zu verzichten, um diese Gruppe endlich los zu sein. Mit letzter Kraft wird weiter gemacht.

Der Versuch, wenigstens den Tag der Zeugnisvergabe ohne Teilnehmerinnen zu begehen, scheitert bizarrerweise an einer Intervention einer Teilnhemerin. Der erste Fall, der mir bekannt wird, wo Teilnehmer sich nicht auf freie Tage stürzen, sondern auf Anwesenheit bestehen, und das, wo an dem Tag nicht mal mehr Lehrstoff geboten wird.

Am Ende werden die Wunden verarztet und es geht weiter.

Ich gebe später einen weiteren Kurs in der gleichen Stadt, und es läuft wunderbar, wie meistens.

Langzeit-Wirkung

In den ersten Wochen nach dem Kurs verarzte ich meine Wunden, nehme mir ein bisschen frei, gehe im Wald spazieren

Meine Einschätzung so weit: Manchmal verhalten Leute sich komisch, und ich kann halt nix machen.

Dann aber ändert sich etwas.

Die Art, wie ich vor einer Klasse stehe, ändert sich. Ich denke sensibler darüber nach, wie schnell ich anfange, Witze einzustreuen, und wie oft ich das tue.

Wie nach den meisten Krisen, hinterher werden manche Dinge einfacher. Der Flow im Unterricht läuft besser.

Bisher habe ich auf der kognitiven Ebene gelernt, Methoden, Ansätze der Kommunikation, Stimmprojektion, usw.

Das Lernen fand bei diesem Kurs aber nicht auf der kognitiven Ebene statt, sondern eine Etage tiefer. Mein Instinkt wurde besser ausgebildet. Mein Körper hat gelernt.

Ich bin schon lange dazu übergegangen, Krisen ganz gut zu finden, weil ich dabei lerne und weil manche Aspekte des Lebens danach leichter werden.

In diesem Fall brauchte es eine Weile, den Lerngewinn zu identifizieren.